…oder der Schwarze Mittwoch

Eingesetzte Fahrzeuge n.A
Sonstige Einheiten n.A

Mittwoch der 02.07.2008. Dieser Tag wird wohl in der Geschichte der Feuerwehr Großgründlach für immer fest verankert bleiben. Am Abend wird die Wehr aufgrund eines Unwetters alarmiert. Auf der Anfahrt zu einer Einsatzstelle werden beide Löschfahrzeuge aus Großgründlach in einen Unfall verwickelt. Dieser Einsatz hat Spuren hinterlassen. Nicht nur negative, sondern auch positive. In den nachfolgenden Zeilen schildert Kommandant Stefan Hofmann die Ereignisse aus seiner Sicht.

Der Kalender schreibt den zweiten Juli 2008. Am Mittag kehre ich gut erholt und bestens gelaunt aus meinem Urlaub zurück. Er war mal wieder dringend nötig! Wie schon oft gehen mir in den freien Tagen viele Dinge durch den Kopf. Was mach ich eigentlich alles, mach ich alles richtig? Auch die Frage: Mag ich denn noch? Kommt nach fast 8 Jahren als Kommandant bei mir auf. Bei jeder Kleinigkeit kommt man ins Grübeln. Keiner ist frei von Fehlern, aber ist man noch der Richtige oder hat man noch die Kraft? Nach einer Woche Urlaub sehe ich die Welt wieder mit anderen Augen und wollte eigentlich nicht zurück im Alltag landen. Daher hatte ich mir fest vorgenommen, es langsam angehen zu lassen. Es kommt anders! Unwetter, Alarm, Bereitschaft und dann der Einsatzbefehl. Wie schon so viele male vorher auch. Alles ganz normal. Allerdings nicht lang. Klar, jeder Einsatz ist anders, aber oft, ja eigentlich zu oft, liest man von Einsatzfahrzeugen, die auf dem Weg zum Einsatz verunglücken. Dass es einen selbst treffen kann, daran denkt man nicht im geringsten. Uns traf es an diesem Mittwoch! Wie ein Donnerschlag war das Auffahren des hinteren Fahrzeuges im LF 16 zu vernehmen. Entsetzte Gesichter, Feuerwehrkameraden liegen durcheinander geworfen im Mannschaftsraum. Der erste Blick zu den Kameraden im Fahrzeug. Alle soweit O.K.? Dann Aussteigen, einen ersten überblick verschaffen. Der Blick zum hinteren Fahrzeug. Das Nicken des Kollegen sagt aus, das auch im LF 16-TS alle so weit in Ordnung sind. Zumindest für den ersten Moment. Durchschnaufen! Kurze Erleichterung, zitterige Hände aber bleiben. Feuerwehrkollegen treten auf die Straße, bleich, verwirrt, fast orientierungslos. Erst jetzt bemerke ich, das ein wildes Durcheinander entsteht. Weitere Maßnahmen müssen nun veranlasst werden. Die Einsatzstelle absagen, den Oberbeamten und Rettungsdienst bestellen. Ich frage mich ob wir ihn wirklich benötigen? Die Kameraden, die einen einigermaßen „normal Eindruck“ machen, werden zum Absichern der Unfallstelle eingeteilt.

Ich rufe einen Kollegen an. „Bring mir einen Foto, ich muss das hier festhalten!“. Was ist denn los? Für diese Frage habe ich keine Zeit. „Bring ihn einfach“. Warum zum Teufel fällt mir „mein“ Rüstwagen nicht ein? Der RW 1 war nicht mit abgerückt und steht noch besetzt im Gerätehaus. Die Kameraden sind nicht direkt beteiligt und hätten wohl das Ganze ein bisschen leichter angehen können.

Erst jetzt erkenne ich einen Kameraden der mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Gehsteig liegt. Ist es nur einer? Nein, leider nicht! Ein Zweiter sitzt neben ihm und klagt ebenfalls über Schmerzen. Was soll ich jetzt machen? Die Frauen anrufen, sie informieren? Was soll ich ihnen sagen, ich weiß ja selber nicht wie uns geschieht. Die nächsten Kameraden bekommen zittrige Beine. Die Zahl der sitzenden Kollegen am Gehsteig steigt. Jetzt fällt mir auch der Rüstwagen ein. Ich rufe meinen Stellvertreter an und bestelle sie an die Unfallstelle. Als sie nach wenigen Minuten eintreffen auch hier erschrockene, bleiche Gesichter. Der Rettungsdienst kommt. Auch der Oberbeamte der Berufsfeuerwehr trifft ein. Nach ihm ein Notarzt. Dann noch ein weiterer Rettungswagen. Schließlich kommen auch noch der Leiter der Feuerwehr, der Feuerwehrarzt und Kollegen der Berufsfeuerwehr an den Unfallort. Nehme ich überhaupt noch alles wahr? Wach ich auf und bin in einem Traum? Die Polizei will alle Namen wissen. Waren zu viel Personen in den Fahrzeugen? Wer war eigentlich alles mit dabei? Eine Beamtin kommt auf 22 Mann. Wir waren doch nur 18. Gott sei Dank hat sie sich verzählt es waren tatsächlich nur die erlaubten 18 Kameraden in den beiden Löschfahrzeugen. Warum hat man keinen Plan B für so einen Fall im Kopf? Man spielt so viele Einsätze im Kopf ab. Lässt sie Revue passieren, um das nächste Mal besser vorbereitet zu sein. Für einen solchen Fall gibt es dann aber doch kein Patentrezept. Wir informieren die Frauen, deren Männer ins Krankenhaus kommen. Glaube ich mir selbst was ich am Telefon erzähl und vor allem: Was erzähle ich eigentlich? Um mich rum immer noch bleiche und fragende Gesichter. Ein Mannschaftstransporter der Berufsfeuerwehr kommt und bringt alle beteiligten Kameraden zurück ins Gerätehaus. Sammeln ist angesagt. Physisch wie auch psychisch. Ich bin noch immer vor Ort. Letzte Absprachen mit der Besatzung des Rüstwagens und dann werde ich im Auto des Oberbeamten zurück in „meine Feuerwehr“ gefahren. Das Gefühl, ohne Fahrzeuge, ohne einen einzigen vertrauten Kollegen im Auto zurück gefahren zu werden, in ein Gerätehaus das leer ist, ich kann es nicht beschreiben. Ankommen im Hof der Feuerwehr, ein beklemmendes Gefühl, die Hallen sind hell erleuchtete, Kameraden laufen umher, aber keine Fahrzeuge. Jeder erzählt, plaudert, berichtet. Mittlerweile sind noch mehr Kameraden da. Es läuft alles wie ein Film vor mir ab. Es wird nur nicht gedreht. Trotzdem sind wir die Hauptdarsteller.

Der Feuerwehrarzt nimmt eine Grobuntersuchung vor. Neun Mann werden zur Vorsicht in die Erler Klinik gefahren, um sich untersuchen zu lassen. Warum habe ich von den Mitfahrern im Rettungswagen noch keine Information über meine Kollegen, ist es schlimmer? Was ist los? Die Ungewissheit nagt.

Vor meiner Abfahrt ins Krankenhaus, bitte ich alle Kameraden, die im Gerätehaus sind, zu bleiben und auf unsere Rückkehr zu warten. Sind ja nicht mehr viele übrig. Eine mir endlos erscheinende Fahrt in die Klinik beginnt. Wo sind die Kollegen, die mit dem Rettungswagen gekommen sind? Die Kameraden, die direkt von der Unfallstelle in die Klinik gebracht wurden, sind alle bereits wieder auf dem Heimweg. Das erste mal Aufatmen seit, ja seit wie lang eigentlich? Zeit ist vergänglich und für mich scheint sie immer noch zu stehen. Nach der Entwarnung von den Kameraden kommt zum ersten mal, wenn auch nur langsam und zögerlich, der Spaß ein wenig zurück. Wir beginnen etwas zu scherzen, veräppeln uns ein wenig. Was allerdings am meisten zu spüren ist: Wir sind in den letzten Stunden mehr geworden als „nur“ Kameraden. Wir wurden zu einer Einheit, in der einer für den anderen da ist und alles gibt. Wir Geben, welch komischer Begriff in unserer heutigen Zeit, die überwiegend nur noch von Nehmen beherrscht wird. Wofür andere Jahre brauchen, um zu lernen was Geben ist, das haben wir in ein paar Stunden verinnerlicht. Die Stimmung wirkt nun gelöst, da alle laufend das Krankenhaus verlassen können. Es folgt wieder eine lange Fahrt zurück in ein Gerätehaus das erhellt, aber noch immer leer ist. In meinem Kopf drehen sich immer noch die Gedanken. Wie geht es den Fahrern? Sind noch alle Kameraden da? Was sage ich Ihnen jetzt, ich wollte ja, dass alle bleiben! Was kommt auf uns noch zu? Polizeilich, rechtlich, gesundheitlich, wo kriegen wir Autos her, können wir in den normalen Dienst übergehen? Fragen über Fragen, die eigentlich so was von gleichgültig sind, meine zweite Familie lebt! Die Halle ist mit Leben erfüllt, zumindest menschlich, wir lächeln uns an, schütteln die Hände, einige nehmen sich in den Arm. Zwei Mann fehlen! Was ist mit Ihnen? Schmerzen körperlich – seelisch? Man berichtet mir von Ihnen, doch beruhigt es? Ich richte einige Worte an die Kameraden, was ich gesagt habe, weiß ich heute nicht mehr. Ich hoffe es waren die richtigen Worte. Ich bin zu aufgerieben um einen klaren Kopf zu fassen. Eines wird mir in diesen Momenten aber wieder bewusst: Es ist immer noch die richtige Entscheidung, Kommandant dieser Kameraden zu sein. Ich bin trotz allem was passiert ist mächtig stolz auf jeden Einzelnen, denn jeder hat an diesem Abend Kameradschaft wirklich gelebt. Wie spät ist es eigentlich? Ich müsste mal schlafen, bin schon lang unterwegs! Wird an Schlaf zu denken sein? Wie erkläre ich meiner Freundin morgen das alles? Immerhin habe ich Ihr kurz vor unserem Ausrücken geschrieben, ich denke wir werden gleich heim dürfen. Wie erzählt man so was? Wieder mal nur Fragen über Fragen in meinem Kopf! Als ich Zuhause bin, mache ich mir ein Bier auf. Setz mich zum ersten mal hin und zünd mir eine Zigarette an! Ja – ich rauche wieder! Die Zeiger fliegen über die Uhr, morgen (oder ist es doch schon heute?) ist viel zu erledigen. Zeit spielt aber keine Rolle mehr. Das Handy klingelt, der Puls geht hoch! Warum, ich weiß doch gar nicht, wer dran ist. Ein Kamerad hat nun doch Beschwerden bekommen. Was tun? Er kommt mit dem Rettungsdienst ins Krankenhaus! Nach der kurzen Verschnaufpause bin ich nun wieder völlig angespannt. Innerlich wieder aufgewühlt. Was ist? Kann ich was tun, ich merke wie hilflos man sein kann. Warum klingelt das dämliche Telefon nicht mehr? Wo bleibt der erlösende Anruf, dass es ihm gut geht, zumindest körperlich? Ich lege mich ins Bett! Was mache ich hier? Meine Augen sind nur noch so groß wie Schlitze, aber schlafen geht nicht, mir fehlt immer noch ein Kollege! Ich koche mir einen Kaffee und schaue am Balkon in den Nachthimmel. Ich weiß es nicht mehr, habe ich angerufen oder wurde ich angerufen? Er ist zu hause! Ich versuche einen klaren Kopf zu fassen, um zu ordnen, was zu tun ist, wenn der Tag anbricht. Ich schaffe es nicht. Ist es zu früh oder zu spät? Keiner kann es beantworten. Eltern informieren, Freundin unterrichten, am besten alles unter einen Hut zaubern. Die Zeit wird knapp sein. Termin auf der Wache 4, Unfallberichte einsammeln, Fragen beantworten, Fahrzeug holen und wichtig, alle Verletzten abklopfen. Bleich und ausgemergelt schlage ich früh um kurz vor neun bei meinen Eltern auf. Geht’s gut, was war den gestern Abend? Bist ja richtig aus dem Urlaub empfangen worden. Mein Gesicht spricht andere Bände. Ich bitte um fünf Minuten, bis ich erzählen kann. Ich merke wie meine Augen feucht werden. Mir laufen die ersten Tränen über die Wangen. Weine ich weil es passiert ist, oder weil wir so viel Glück hatten? Ich habe keine Ahnung, ich bin Mensch! Mensch und keine Maschine und zu Hause. Die Freundin wusste es schon! Wieder etwas falsch gemacht? Was ist richtig und was falsch? Wer weiß das schon, ich momentan nicht. Ich klopfe per SMS und Telefon Kameraden ab, um zu wissen, wie es Ihnen geht. Der Besuch auf der Wache 4 geht an mir eigentlich vorbei. Fragen über Fragen, ein altes Feuerwehrauto, was keiner haben will. Versteht man nicht, dass wir Glück hatten gestern Abend? Ich bin ausgebrannt und will nur noch weg von hier. In unserem Gerätehaus ist schon wieder Betrieb, Kollegen warten auf dass was da kommt, auf das Ersatzfahrzeug und auf uns. Ich glaube, jeder muss nach ein paar Stunden Abstand noch mal über das reden, was passiert ist und einfach mit den anderen zusammen sein. Gemeinsam erstellen wir erste Unfallberichte.

Gegen zwei Uhr Nachmittag falle ich ins Bett, wohl wissend, dass noch einiges auf uns zukommt. Nach einigen Stunden Schlaf, wieder abklopfen von Kollegen, um sich nach dem aktuellen Stand zu erkundigen. Der Urlaub erscheint mir mittlerweile Jahre entfernt. Am Abend kuschel ich mich an meine Freundin und versuche zu vergessen.

Jetzt nach ein paar Wochen Abstand, die ich gebraucht habe um diese Zeilen hier zu schreiben, kann ich mit Stolz sagen: So besch……..eiden dieser Unfall war, er hatte für uns nicht nur Negatives, sondern auch viel Positives gebracht. In den Tagen nach dem Unfall habe ich gesehen, wie fest wir zueinander stehen. Jeder besuchte, oder fragte nach dem anderen. Um jeden wurde sich gekümmert. Keiner war allein. Es brauchte dazu keine Worte, jede Kameradin, jeder Kamerad wusste selbst, was zu tun war. Der Dienstbetrieb wurde wie selbstverständlich wieder aufgegriffen. Die Erlebnisse dieses Abends, die Erfahrungen, die gesammelt wurden, haben wir nicht einfach bei Seite geschoben, sondern wir gingen damit um und gestärkt daraus hervor. Geschwätz und Getratsche, dass unvermeidlich war, ließen alle an sich abprallen.

Hätte ich das Drehbuch für diesen „Film“ geschrieben, hätte ich mir solch ein Ende gewünscht, es mir aber nie erträumen lassen. Aus einer verschworenen Einheit wie der unseren, ist an diesem Abend mehr geworden: Wir sind eine Familie und ich bin stolz das Familienoberhaupt zu sein.

Stefan Hofmann,

Kommandant